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Viskoelastometrie: Moderne Gerinnungsdiagnostik im Überblick

Hinweis: Dieser Artikel richtet sich ausschließlich an medizinische Fachkreise.

Einleitung

Die Viskoelastometrie gewinnt in Kliniken zunehmend an Bedeutung, wenn es um die präzise Beurteilung der Blutgerinnung geht. Das Verfahren ermöglicht eine dynamische Analyse des gesamten Gerinnungsprozesses und liefert dadurch Informationen, die über klassische Laborwerte hinausgehen. Für Ärzt:innen, Anästhesist:innen, Intensivmediziner:innen und Klinik-Einkäufer:innen stellt sich die Frage: Welche Vorteile bietet die Methode und welche Konsequenzen ergeben sich für Diagnostik und Therapie?

In unserem Hauptartikel finden Sie einen Gesamtüberblick zum Thema Blutgerinnung: Moderne Tests, Therapie & Trends.

Grundlagen der Viskoelastometrie

Die Viskoelastometrie ist ein Verfahren zur Beurteilung der Hämostase (Blutstillung). Anders als klassische Laborwerte, die nur Einzelaspekte wie Thrombozytenzahl oder Quick-Wert erfassen, analysiert die Viskoelastometrie den gesamten Gerinnungsprozess von der Aktivierung bis zur Fibrinolyse und liefert wertvolle Hinweise auf Gerinnungsstörungen.

Es handelt sich um eine Messung der viskoelastischen Eigenschaften von Vollblut. Dabei wird Blut in eine Messkammer gegeben und mechanischen Impulsen ausgesetzt. Die zunehmende Verfestigung des Blutes im Rahmen der Gerinnselbildung verändert die Bewegungsübertragung zwischen Messkörper und Kammerwand. Diese Veränderungen werden in Echtzeit als Kurven dargestellt.

Verfahren und Systeme im Überblick:

  • TEG (Thrombelastographie): Pioniermethode, entwickelt in den 1940er-Jahren

  • ROTEM (Rotations-Thromboelastometrie): Weiterentwicklung mit rotierendem Pin und moderner Sensortechnik

  • ClotPro: Neuere Plattform, die parallele Tests und standardisierte Reagenzien ermöglicht (kein Akronym, sondern Handelsname)

  • Quantra: Ultraschall-basiertes System, das viskoelastische Messungen mit einem alternativen physikalischen Prinzip durchführt

Klinische Relevanz: Warum Viskoelastometrie wichtig ist

Die klassische Gerinnungsdiagnostik umfasst Werte wie Thrombozyten, Prothrombinzeit, aktivierte partielle Thromboplastinzeit, D-Dimere und Fibrinogen. Diese Laborwerte sind zwar etabliert, haben jedoch Limitationen: Sie spiegeln nicht den gesamten Gerinnungsprozess wider und benötigen Zeit.

Die Viskoelastometrie dagegen liefert schnelle Ergebnisse am Point of Care. So können Ärzt:innen direkt am Patientenbett Entscheidungen treffen, beispielsweise bei massiven Blutungen im OP oder auf der Intensivstation.

Ein praktisches Beispiel ist die Herzchirurgie: Hier treten komplexe Gerinnungsstörungen auf, die mit Standardparametern schwer zu erfassen sind. Viskoelastometrie ermöglicht eine differenzierte Analyse, sodass gezielte Therapieentscheidungen getroffen werden können, etwa die Gabe von Fibrinogenkonzentrat oder Tranexamsäure.

Diagnostische Informationen im Detail

Die Kurven der Viskoelastometrie liefern mehrere Parameter, die unterschiedliche Aspekte der Gerinnung widerspiegeln:

Viskoelastometrie Tabelle
Parameter Bedeutung Klinische Relevanz
Clotting Time (CT) Zeit bis zum Gerinnungsbeginn Hinweis auf Faktorendefekte oder Antikoagulation
Clot Formation Time (CFT) Geschwindigkeit der Gerinnselbildung Aussage über Thrombozytenfunktion und Fibrinogen
Maximum Clot Firmness (MCF) Stabilität des Gerinnsels Marker für Fibrinogen, Thrombozyten und Interaktion
Lysis Index Gerinnselabbau Hinweis auf Hyperfibrinolyse

Die Kombination dieser Werte ermöglicht ein umfassendes Bild der Hämostase. Klinisch relevant ist, dass das Verfahren nicht nur pathologische Veränderungen erkennt, sondern auch Therapieeffekte in Echtzeit sichtbar macht. Während die Clotting Time (CT) in der Viskoelastometrie die Zeit bis zum Beginn der Fibrinbildung beschreibt, misst die Activated Clotting Time (ACT) als eigenständiger Point-of-Care-Test vor allem die Wirkung hoch dosierter Heparintherapien, etwa bei Herzoperationen oder extrakorporalen Verfahren.

Viskoelastometrie

Therapeutische Konsequenzen der Viskoelastometrie

Ein wesentlicher Vorteil der Viskoelastometrie liegt in der zielgerichteten Steuerung der Therapie. Die Kurven zeigen in Echtzeit, ob der Patient von Fibrinogenkonzentraten, Prothrombinkomplex, Thrombozytenkonzentraten oder Antifibrinolytika profitiert. Dadurch lassen sich unnötige Transfusionen vermeiden und Blutprodukte gezielter einsetzen.

Mehrere Studien belegen, dass viskoelastische Verfahren die Gabe von Fremdblutprodukten signifikant reduzieren können, ohne die Sicherheit der Patient:innen zu beeinträchtigen (Görlinger et al., 2019). Dieser Ansatz wird inzwischen auch von Leitlinien unterstützt, beispielsweise in der aktuellen S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletztenversorgung (Lier et al., 2023). Moderne Systeme wie ROTEM sigma oder TEG 6s sind dort als integrale Bestandteile einer evidenzbasierten Gerinnungsdiagnostik verankert.

Vergleich mit klassischer Gerinnungsdiagnostik

Während klassische Tests wie Quick-Wert oder INR (International Normalized Ratio) nur die Aktivität einzelner Gerinnungsfaktoren erfassen, liefert die Viskoelastometrie ein Gesamtbild des Gerinnungsprozesses. Besonders in Notfallsituationen erweist sich dieser umfassende Ansatz als klinisch entscheidend.

Ein Nachteil sind die höheren Anschaffungskosten und der Schulungsaufwand für das Personal. Gleichzeitig zeigen Analysen, dass sich die Investition durch eine gezieltere Gabe von Blutprodukten und die damit verbundenen Einsparungen rechtfertigen lässt. Eine systematische Übersichtsarbeit belegt, dass viskoelastische Tests in der Herzchirurgie und Traumaversorgung zu einer Reduktion des Transfusionsbedarfs und potenziell zu Kostenvorteilen führen (Whiting et al., 2015). Neuere Reviews unterstreichen diesen ökonomischen Nutzen und sehen die Verfahren als wertvolle Ergänzung der modernen Gerinnungsdiagnostik (Reardon et al., 2024).

Viskoelastometrie: Fazit

Die Viskoelastometrie ist ein modernes, dynamisches Verfahren, das die Gerinnungsdiagnostik in Kliniken revolutioniert. Sie liefert schnelle, umfassende Informationen über den gesamten Gerinnungsprozess und ermöglicht eine zielgerichtete, individualisierte Therapie. Trotz höherer Anschaffungskosten überwiegt der Nutzen durch verbesserte Patientensicherheit und reduzierte Blutprodukte. Für chirurgische und intensivmedizinische Abteilungen ist die Methode daher von hoher klinischer Relevanz.

Frequently Asked Questions (FAQs) zur Viskoelastometrie

Was ist der Hauptvorteil der Viskoelastometrie gegenüber Standardtests?

Die Viskoelastometrie liefert ein Gesamtbild der Gerinnung in Echtzeit, während Standardtests nur Einzelaspekte messen.

Erste Resultate der Viskoelastometrie sind nach ca. 10 Minuten verfügbar, ein vollständiges Bild nach 30 bis 60 Minuten.

Mithilfe der Viskoelastometrie können vor allem Fibrinogen, Thrombozytenkonzentrate und Prothrombinkomplexpräparate gezielt eingesetzt werden.

Die Viskoelastometrie ist besonders in Herzchirurgie, Trauma- und Transplantationsmedizin, auf Intensivstationen sowie im OP relevant.

Die Viskoelastometrie erfordert höhere Anschaffungskosten, Schulungsaufwand des Personals und ist meist nur in größeren Kliniken verfügbar.

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