Diagnoodle Blog Home > Kreatinin > Kreatinin-Clearance
Hinweis: Dieser Artikel richtet sich ausschließlich an medizinische Fachkreise.
Die Nierenfunktion ist ein entscheidender Parameter für Diagnostik, Therapieplanung und Verlaufsbeurteilung. Neben Serumkreatinin hat sich die Kreatinin-Clearance als praxisnaher Marker etabliert. Sie ermöglicht eine zuverlässige Einschätzung der glomerulären Filtrationsrate (GFR), vor allem in Situationen, in denen Formeln wie eGFR ungenau sind. Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen suchen nach diesem Begriff meist, weil sie Medikamentendosierungen prüfen, Formeln vergleichen oder klinische Sonderfälle einschätzen wollen. Dieser Artikel liefert eine eigenständige, evidenzbasierte Darstellung mit besonderem Fokus auf diese praxisrelevanten Fragen.
Lesen Sie im Detail alles in unserem Hauptartikel Kreatinin: Umfassender Überblick zur Diagnostik.
Die Kreatinin-Clearance beschreibt das Plasmavolumen, das innerhalb einer Minute vollständig von Kreatinin befreit wird. Klassisch wird sie durch eine 24-Stunden-Urin-Sammlung und parallele Bestimmung des Serumkreatinins berechnet. Mehr zur Kreatinin-Bestimmung im Urin und ihren diagnostischen Grenzen erfahren Sie hier.
Berechnungsmethoden
Direkte Clearance-Bestimmung: 24-h-Urin, präzise, aber fehleranfällig bei unvollständiger Sammlung.
Cockcroft-Gault-Formel: Nutzt Serumkreatinin, Alter, Gewicht und Geschlecht. Sie liefert eine Schätzung der Kreatinin-Clearance und bildet bis heute die Grundlage vieler Arzneimitteldosierungen, da klinische Studien und Fachinformationen auf dieser Berechnung basieren (Nyman et al., 2011).
MDRD-Formel: Gut validiert für chronische Nierenerkrankungen, jedoch bei normaler Nierenfunktion weniger genau.
CKD-EPI-Formel: Genauere Schätzung im höheren GFR-Bereich, heute international am weitesten verbreitet.
Leitlinienlage: Für Screening, Diagnose und Verlaufsbeurteilung einer chronischen Nierenerkrankung empfehlen die Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Clinical Practice Guidelines die Verwendung von eGFR-Formeln wie CKD-EPI oder MDRD.
Für Arzneimitteldosierungen verweisen hingegen regulatorische Leitlinien darauf, dass die Cockcroft-Gault-Formel maßgeblich ist. Die European Medicines Agency (EMA) führt in ihrer Guideline on the evaluation of pharmacokinetics in patients with decreased renal function aus, dass Fachinformationen auf Cockcroft-Gault basieren. Auch die U.S. Food and Drug Administration (FDA) hebt in ihrem Guidance for Industry on pharmacokinetic studies bei Patient:innen mit eingeschränkter Nierenfunktion hervor, dass Cockcroft-Gault die Grundlage für Dosisanpassungen in Fachinformationen bildet.
Die Kreatinin-Clearance ist im Klinikalltag unverzichtbar, weil sie über sichere oder riskante Therapien entscheidet. Bei Medikamenten, die überwiegend renal eliminiert werden, entscheidet die Clearance darüber, ob eine Standarddosis gegeben oder reduziert werden muss. Für orale Antikoagulanzien schreiben Fachinformationen ausdrücklich die Verwendung der Cockcroft-Gault-Clearance vor, da Wirksamkeit und Sicherheit in Zulassungsstudien genau damit geprüft wurden. Wer stattdessen eine eGFR nutzt, riskiert Über- oder Unterdosierungen mit Blutungs- oder Thromboserisiko.
Darüber hinaus wird die Clearance herangezogen, um chronische Krankheitsverläufe zu monitoren. Ein kontinuierlicher Abfall kann ein Hinweis auf Fortschreiten einer Nephropathie sein und rechtzeitig eine nephrologische Mitbetreuung oder Dialyseplanung auslösen. Auch in der Onkologie, etwa vor hochdosierter Chemotherapie, ist die exakte Clearance-Messung entscheidend, da geringe Abweichungen schwerwiegende Nebenwirkungen verhindern oder verursachen können.
Die Kreatinin-Blutwerte hängen von Alter, Geschlecht und Muskelmasse ab.
| Alter (Jahre) | Männer (ml/min) | Frauen (ml/min) | Besonderheiten |
|---|---|---|---|
| 20–39 | 97 ± 22 | 88 ± 21 | höchster Bereich |
| 40–59 | 84 ± 19 | 75 ± 18 | physiologischer Abfall |
| ≥ 60 | 75 ± 17 | 64 ± 16 | altersbedingt reduziert |
Zusätzlich beeinflussen Ernährung, Muskelmasse, Ethnie und Schwangerschaft die Clearance. Wichtig ist, dass Normwerte allein nie Therapieentscheidungen bestimmen, sondern stets im klinischen Kontext betrachtet werden.
Eine erhöhte Clearance tritt bei Zuständen mit gesteigerter Nierendurchblutung auf, etwa im frühen Diabetes mellitus oder in der Schwangerschaft. Diese sogenannte Hyperfiltration ist zunächst kompensatorisch, kann aber langfristig schädlich sein.
Erniedrigte Werte entstehen bei chronischer Niereninsuffizienz, aber auch bei akuten Störungen wie prärenalem Nierenversagen infolge Volumenmangels oder Herzinsuffizienz. Postrenale Ursachen wie Prostatahyperplasie oder Ureterobstruktion können den Abfluss behindern und so die Clearance reduzieren.
Ein Sonderfall ist die augmented renal clearance (ARC), die vor allem bei Intensivpatient:innen auftritt. Hier liegt die Clearance teils über 130 ml/min/1,73 m², was trotz normalem Serumkreatinin zu rascher Elimination von Antibiotika führt. Ohne gezielte Kontrolle kommt es zu subtherapeutischen Wirkspiegeln und Therapieversagen (Wu et al., 2019).
Zusätzlich müssen methodische Einflussfaktoren beachtet werden. So hemmt Cimetidin die tubuläre Kreatininausscheidung und kann dadurch die gemessene Kreatinin-Clearance überschätzen, obwohl die tatsächliche GFR unverändert bleibt (Sansoè et al., 2002). Trimethoprim wiederum zeigt in aktuellen Beobachtungsstudien bei prophylaktischen Dosen selten eine relevante Erhöhung des Serumkreatinins – die Clearance bleibt überwiegend stabil (Kawato et al., 2022).
Die Kreatinin-Clearance ist ein wichtiges Hilfsmittel, um akute von chronischen Nierenfunktionsstörungen zu unterscheiden. Bei akuten Prozessen hinkt das Serumkreatinin den realen Veränderungen oft hinterher, sodass eine gemessene Clearance rascher eine Funktionsstörung aufzeigt.
Zur Abgrenzung unterschiedlicher Ursachen reicht die Kreatinin-Clearance allein nicht aus. In Kombination mit Biomarkern wie Cystatin C, NGAL oder KIM-1 (Kidney Injury Molecule-1) verbessert sich die diagnostische Genauigkeit deutlich. Eine aktuelle Metaanalyse zeigt, dass Cystatin C im Blut und KIM-1 im Urin besonders zuverlässig Nierenschäden anzeigen. In Kombination mit NGAL lassen sich prärenale, intrarenale und postrenale Ursachen besser unterscheiden (Lan et al., 2023). Ergänzend kann der Albumin-Kreatinin-Quotient eingesetzt werden, um Nierenschäden frühzeitig zu erfassen.
Die Kreatinin-Clearance beeinflusst die Therapie auf mehreren Ebenen. Arzneimitteldosierung ist der wichtigste Bereich: Bei Antibiotika wie Aminoglykosiden oder Vancomycin, bei Antidiabetika wie Metformin und bei Antikoagulanzien entscheidet sie über Sicherheit und Wirksamkeit. Fachinformationen empfehlen zum Beispiel, Metformin bei einer Clearance unter 30 ml/min zu vermeiden oder die Dosis deutlich zu reduzieren (Faull & Lee, 2007).
Darüber hinaus signalisiert eine erniedrigte Clearance bei prärenalem Nierenversagen den Bedarf an Volumensubstitution, bei postrenalen Ursachen eine urologische Intervention. Bei chronisch Kranken dient die Clearance als Verlaufsparameter, der die frühzeitige Überweisung an die Nephrologie ermöglicht.
In der Intensivmedizin wiederum führt eine gesteigerte Clearance durch augmented renal clearance (ARC) häufig dazu, dass Standarddosen zu niedrig sind. Ein aktueller Scoping Review belegt, dass Patient:innen mit ARC höhere oder verlängerte Antibiotikadosierungen benötigen, um wirksame Plasmaspiegel zu erreichen (Memiş et al., 2025). Hier helfen kurzzeitige Urinsammlungen oder engmaschiges Therapeutisches Drug Monitoring (TDM), um Unterdosierungen zu verhindern.
Eine korrekt durchgeführte 24-Stunden-Urin-Sammlung bleibt die präziseste Methode zur Abschätzung der Kreatinin-Clearance. Um Fehler zu entdecken, muss die Vollständigkeit der Sammlung geprüft werden: Normwerte liegen bei ca. 20 bis 25 mg Kreatinin pro kg Körpergewicht/Tag bei Männern, 15 bis 20 mg/kg/Tag bei Frauen. Deutlich abweichende Werte deuten auf Sammelfehler hin und erfordern eine Wiederholung (Callo-Quinte et al., 2025).
Die Wahl des Körpergewichts in der Cockcroft-Gault-Formel beeinflusst die Genauigkeit erheblich. Eine modifizierte Version mit lean body weight liefert bei adipösen Patient:innen bessere Übereinstimmungen mit gemessener Clearance (Brunetti et al., 2021).
Wichtig für die Dosierung ist die Einheit: eGFR wird üblicherweise in ml/min/1,73 m² angegeben, Dosierungstabellen beruhen jedoch auf ml/min. Wer versehentlich indexierte Werte verwendet, riskiert Dosierungsfehler. Die FDA empfiehlt, eGFR zur Anwendung in diesen Kontexten in nicht-indexierte Werte umzurechnen.
Wichtig ist auch die analytische Qualität: Die Bestimmung basiert häufig auf enzymatischen Methoden, die zuverlässiger und spezifischer als die klassische Jaffé-Methode sind. Die Jaffé-Methode ist zwar weit verbreitet, bringt aber bekannte Einschränkungen mit sich. Da alle Berechnungen von der Serumkreatininbestimmung abhängen, muss diese verlässlich und standardisiert erfolgen. In Deutschland schreibt die RiliBÄK (Richtlinien der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung) regelmäßige interne und externe Qualitätskontrollen für Laborparameter vor. Nur so sind Ergebnisse zwischen verschiedenen Laboren vergleichbar. Welche Kreatinin-Tests verfügbar sind und wie sie sich unterscheiden, lesen Sie in unserem Überblick.
Die Kreatinin-Clearance ist ein zentrales Instrument zur Beurteilung der Nierenfunktion. Sie ist klinisch relevant für Medikamentendosierungen, Differenzialdiagnosen und Verlaufsbeurteilungen. Besonders in Sonderfällen wie Adipositas, Schwangerschaft oder Intensivmedizin liefert sie entscheidende Zusatzinformationen, die einfache eGFR-Werte nicht erfassen. Ihre korrekte Durchführung, die Wahl der richtigen Formel und die Beachtung von Einheiten sind für die Patientensicherheit unerlässlich. Für Fachpersonen bedeutet das: Die Kreatinin-Clearance bleibt trotz neuer Biomarker unverzichtbar, als praxisnahes, klinisch relevantes Maß, das unmittelbar Einfluss auf Therapieentscheidungen hat.
Weil Fachinformationen und Zulassungsstudien auf dieser Formel basieren. Eine Abweichung kann zu falschen Dosierungen führen.
Wenn die exakte GFR das klinische Handeln bestimmt, etwa vor Chemotherapie oder bei unklaren Formelergebnissen.
Ein Phänomen bei Intensivpatient:innen, bei dem die Nieren ungewöhnlich viel Kreatinin und Medikamente ausscheiden. Es führt zu Unterdosierungen, wenn nicht erkannt.
Über die erwartete Kreatinin-Exkretion pro Kilogramm Körpergewicht. Liegt diese deutlich außerhalb des Referenzbereichs, ist die Sammlung unvollständig.
Ja. Für die Dosierung wird ein Wert in ml/min benötigt. eGFR in ml/min/1,73 m² muss deindexiert werden.
Die bereitgestellten Informationen sind ausschließlich für medizinisches Fachpersonal bestimmt. Sie dienen der neutralen, unabhängigen Information über Produkte und Studien im Bereich der In-vitro-Diagnostik. Eine individuelle Beratung oder Empfehlung erfolgt nicht. Alle Inhalte werden sorgfältig geprüft, dennoch übernehmen wir keine Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Die Nutzung erfolgt auf eigenes Risiko, jegliche Haftung ist ausgeschlossen.