Diagnoodle Blog Home > Bedeutung von Point of Care
Hinweis: Dieser Artikel richtet sich ausschließlich an medizinische Fachkreise.
Der Begriff Point of Care (POC) wird in der Fachliteratur bis heute nicht einheitlich verwendet. Manche verstehen darunter jede diagnostische oder therapeutische Maßnahme, die direkt am Patientenbett oder unmittelbar am Ort der Versorgung durchgeführt wird. Andere definieren Point of Care weiter und schließen auch alle Anwendungen ein, die außerhalb zentraler Einrichtungen wie Laboren oder Großkliniken stattfinden. Gemeinsam ist allen Definitionen jedoch der Kern: Es geht um medizinische Leistungen, die nicht zeitverzögert über Umwege laufen, sondern direkt dort stattfinden, wo Patient:innen Hilfe benötigen.
Diese Entwicklung markiert einen grundlegenden Wandel im Gesundheitswesen. Lange Zeit galt das Zentrallabor als alleiniger Goldstandard, wenn es um präzise Analytik ging. Heute verschiebt sich ein Teil der Diagnostik in den klinischen Alltag hinein, näher an Patient:innen und an die Entscheidungsprozesse der behandelnden Teams. Point of Care ist damit nicht nur eine Methode, sondern Ausdruck einer veränderten Logik der Versorgung: Schnelligkeit, Patientenzentrierung und digitale Vernetzung gewinnen an Gewicht. Wie sich dieser Zeitgewinn konkret in entscheidenen Situationen auswirkt, lesen Sie in unserem Überblick zur Point of Care Diagnostik.
Um die Bedeutung von Point of Care zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die unterschiedlichen Ausprägungen.
Einerseits gibt es Verfahren, die direkt am oder im Körper messen. Solche in-vivo-Verfahren umfassen zum Beispiel kontinuierliche Glukosemesssysteme oder mobile EKG-Geräte. Sie liefern Daten in Echtzeit und ermöglichen eine nahezu lückenlose Überwachung. Gleichzeitig bergen sie das Risiko, dass Patient:innen die Informationen ohne ärztliche Begleitung falsch interpretieren.
Andererseits gehört zur Point-of-Care-Diagnostik auch die in-vitro-Analytik. Dabei werden Proben wie Blut, Urin oder Speichel entnommen und direkt vor Ort ausgewertet. Typische Beispiele sind Schnelltests oder molekulare PCR-Verfahren. Diese klassische Form von Point of Care ist für die klinische Entscheidungsfindung besonders relevant, weil sie sofortige therapeutische Konsequenzen ermöglicht.
Darüber hinaus wird zwischen professioneller Anwendung und Laienanwendung unterschieden. In Kliniken, Praxen oder Pflegeeinrichtungen führen geschulte Teams die Tests durch, die an strenge Qualitätsrichtlinien gebunden sind. Parallel dazu haben Selbsttests für den Heimgebrauch, wie zum Beispiel Schwangerschaftstests, Blutzuckermessungen oder COVID-19-Antigentests – Point of Care in die breite Öffentlichkeit gebracht. Sie schaffen neue Möglichkeiten der Eigenverantwortung, werfen aber auch Fragen nach Verlässlichkeit und Interpretation auf.
In diesem Artikel liegt der Schwerpunkt auf der in-vitro-Diagnostik, da sie für medizinische Fachkreise die große Relevanz hat. Eine vertiefte Einordnung einzelner Tests finden Sie im Beitrag Point of Care Test mit klinischen Anwendungsbeispielen.
Die Idee, Diagnostik unmittelbar am Patienten durchzuführen, ist keineswegs neu. Schon im Mittelalter untersuchten Ärzt:innen den Urin, um Krankheiten zu erkennen. Diese Methoden waren zwar rudimentär, verdeutlichen aber, dass das Bedürfnis nach schneller und direkter Diagnostik tief in der Geschichte der Medizin verankert ist.
Im 20. Jahrhundert kam der eigentliche Durchbruch. Mit der Verfügbarkeit von Blutzuckermessgeräten wurde es erstmals möglich, die Glukosewerte innerhalb weniger Minuten zu bestimmen und die Insulindosierung flexibel anzupassen. Für die Therapie von Diabetes mellitus war dies ein entscheidender Fortschritt, da akute Komplikationen wie Hypoglykämien dadurch vermieden werden konnten. Fast parallel dazu etablierten sich Blutgasgeräte, die zunächst in Intensivstationen eingesetzt wurden. Sie lieferten in kürzester Zeit Informationen über Sauerstoffversorgung, Kohlendioxidwerte und den Säure-Basen-Haushalt – Parameter, die für die Behandlung kritisch kranker Patient:innen unverzichtbar sind.
In den 1970er Jahren kamen zudem Schwangerschaftstests für den Heimgebrauch auf den Markt. Sie machten Diagnostik erstmals ohne ärztliche Begleitung möglich und hatten damit auch eine gesellschaftliche Bedeutung, weil sie Frauen mehr Autonomie verschafften.
Ab den 2000er Jahren folgte eine Welle an Innovationen: Geräte wurden immer kleiner und mobiler, sodass sie nicht mehr nur auf der Intensivstation, sondern direkt am Patientenbett, im Rettungsdienst oder in ambulanten Einrichtungen genutzt werden konnten. Gleichzeitig hielten molekulare Methoden Einzug, die zuvor ausschließlich in Speziallaboren verfügbar waren. Worauf Einrichtungen bei der Geräteauswahl achten sollten, zeigen wir im Leitfaden zu Point of Care Geräten.
Die Pandemie war zweifellos der wichtigste Katalysator für die globale Verbreitung von Point of Care. Millionen Menschen führten Antigen-Schnelltests in ihren eigenen vier Wänden durch, teilweise mehrmals pro Woche und über viele Monate hinweg. Für die Mehrheit war dies die erste Berührung mit medizinischer Diagnostik ohne ärztliche Begleitung.
Dieser Massenversuch hatte weitreichende Folgen. Die Industrie investierte in Produktionskapazitäten, digitale Begleitlösungen und neue Testformate. Kliniken und Praxen erfuhren, dass dezentrale Diagnostik auch in großem Maßstab funktionieren kann. Zudem entstand eine gesellschaftliche Erwartungshaltung: Wer sich daran gewöhnt hat, innerhalb von Minuten ein Ergebnis in der Hand zu halten, wird ungeduldig, wenn es bei anderen Erkrankungen Tage dauert.
Nach der Pandemie nutzten viele Hersteller die gewachsene Akzeptanz, um weitere Schnelltests auf den Markt zu bringen – von Influenza über RSV bis hin zu Multiplex-Systemen, die gleich mehrere Erreger gleichzeitig erfassen. Point of Care wurde so endgültig zu einem zentralen Bestandteil moderner Gesundheitsversorgung.
Die Gründe für die wachsende Bedeutung von Point of Care sind vielfältig. An erster Stelle steht der Zeitfaktor. Während zentrale Labore oft stunden- oder gar tagelang auf Ergebnisse prüfen lassen, liefern Point-of-Care-Systeme Resultate innerhalb weniger Minuten. Diese Zeitdifferenz ist entscheidend, wenn es um Notfallsituationen geht. Ob bei Herzinfarkt, Schlaganfall oder Sepsis: Jede Minute zählt, und ein sofortiges Testergebnis kann über Leben und Tod entscheiden.
Gleichzeitig verändert sich das Verständnis von Patientenzentrierung. Patient:innen erwarten heute schnelle Antworten und transparente Entscheidungen. Lange Wartezeiten auf Laborbefunde passen nicht mehr in ein modernes, effizientes Versorgungsmodell. Point of Care fügt sich nahtlos in diesen Wandel ein, weil er Geschwindigkeit und unmittelbare Kommunikation verbindet.
Ein weiterer Treiber ist die technologische Entwicklung. Fortschritte in Sensorik, Miniaturisierung und digitaler Vernetzung haben Geräte hervorgebracht, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wären. Parallel dazu zwingt der Kostendruck im Gesundheitssystem Kliniken und Praxen dazu, Abläufe effizienter zu gestalten. Auch wenn die Kosten pro Test höher sein können, lassen sich durch verkürzte Liegezeiten und schnellere Therapieentscheidungen erhebliche Summen einsparen.
Schließlich spielt auch die Dezentralisierung eine zentrale Rolle. In Regionen ohne schnellen Zugang zu einem Labor oder bei Kriseneinsätzen wie Naturkatastrophen, Epidemien oder militärischen Konflikten ist Point of Care oft die einzige Option. Die patientennahe Diagnostik ist hier keine Alternative, sondern eine Notwendigkeit. Damit zeigt sich: Point of Care ist nicht nur eine technologische Innovation, sondern auch eine Antwort auf strukturelle und gesellschaftliche Herausforderungen.
In der klinischen Praxis hat Point of Care längst einen festen Platz gefunden. In der Kardiologie beschleunigen Troponin-Tests die Diagnose des Herzinfarkts und ermöglichen eine rasche Entscheidung über invasive Eingriffe. In der Intensivmedizin helfen Tests zu Elektrolyten, Gerinnung oder Infektionsmarkern, Therapieentscheidungen in Echtzeit zu treffen. Auch in der Infektiologie eröffnet die Point-of-Care-Diagnostik neue Möglichkeiten: PCR-basierte Systeme erlauben die unmittelbare Identifikation von Influenza, RSV oder SARS-CoV-2.
Gerade in der Pädiatrie spielt Point of Care ebenfalls eine Rolle. Tests auf Bilirubin bei Neugeborenen können Komplikationen verhindern, CRP-Schnelltests helfen, den Einsatz von Antibiotika zu steuern und Übertherapien zu vermeiden. Studien belegen, dass die Zeit bis zur Therapie durch POC signifikant sinkt und dass die Mortalität in Notfallsituationen reduziert werden kann. Ein zentrales Praxisbeispiel ist die Glucose am Point of Care mit klaren Konsequenzen für die Akutversorgung.
Doch der Einsatz birgt auch Risiken. Wo es an Qualitätssicherung fehlt, können ungenaue Ergebnisse falsche Entscheidungen nach sich ziehen. Besonders bei Selbsttests kommt hinzu, dass Laien die Resultate oft nicht richtig interpretieren. Patientensicherheit bleibt deshalb ein zentrales Thema, das eng mit den Anforderungen an Qualitätsmanagement verbunden ist.
Damit Point of Care zuverlässig eingesetzt werden kann, müssen Qualität und Genauigkeit höchsten Standards genügen. In Deutschland ist hierfür die Richtlinie der Bundesärztekammer (RiliBÄK) zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen maßgeblich. Sie schreibt sowohl interne als auch externe Qualitätskontrollen vor und setzt damit einen verbindlichen Rahmen.
Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung dieser Vorgaben spielt die DGKL (Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin). Sie entwickelt praxisnahe Empfehlungen und unterstützt Einrichtungen dabei, die Qualität von Point-of-Care-Tests kontinuierlich zu überprüfen. Damit ist sie eine wichtige Schnittstelle zwischen regulatorischen Anforderungen und der praktischen Umsetzung im klinischen Alltag.
International gelten Normen wie die ISO 15189:2022, die explizit Anforderungen an Point-of-Care-Testing enthalten. In der Praxis bedeutet dies: Regelmäßige Kontrollmessungen, die Teilnahme an Ringversuchen sowie verpflichtende Schulungen für das Personal sind unverzichtbar. Nur wenn diese Standards eingehalten werden, behält Point of Care seinen klinischen Wert. Der Balanceakt besteht darin, Geschwindigkeit und Zugänglichkeit zu gewährleisten, ohne Abstriche bei der Zuverlässigkeit zu machen.
Wirtschaftlich betrachtet ist Point of Care längst kein Nischensegment mehr. In Kliniken werden viele diagnostische Leistungen über Fallpauschalen, sogenannte DRGs (Diagnosis Related Groups), abgerechnet. Die Tests sind darin enthalten, unabhängig davon, ob sie im Zentrallabor oder direkt am Point of Care durchgeführt werden. Damit setzt die Abrechnung keine eigenen Anreize für POCT, wohl aber für eine effiziente Nutzung von Ressourcen.
In Praxen erfolgt die Vergütung über den einheitlichen Bewertungsmaßstab “EBM” oder die Gebührenordnung für Ärzte “GOÄ”, jeweils abhängig von Fachrichtung und Indikation. Die Abrechnung bezieht sich dabei auf den erbrachten Parameter, nicht auf den Ort der Durchführung. Gerade im vertragsärztlichen Bereich ist die Vergütung häufig nicht attraktiv, was die Verbreitung dezentraler Tests beeinflusst.
Trotz höherer Kosten pro Einzeltest zeigt sich jedoch ein klarer Nutzen: Schnellere Diagnostik verkürzt Liegezeiten, vermeidet Komplikationen und reduziert Folgekosten. Auf dieser Ebene können Point-of-Care-Verfahren also wirtschaftlich sinnvoll sein, auch wenn sie im direkten Vergleich pro Untersuchung teurer sind.
Laut einer aktuellen Marktanalyse der IMARC Group umfasst der globale Point-of-Care-Markt sowohl den professionellen Einsatz in Kliniken und Praxen als auch die Laienanwendung, darunter Blutzuckerselbstmessung und kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGM). Für beide Segmente zusammen wird ein Wachstum von rund 53 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf mehr als 100 Milliarden US-Dollar bis 2033 prognostiziert.
Die Zukunft des Point of Care ist geprägt von Innovation und Ausweitung. Ein zentraler Treiber ist die Miniaturisierung. Geräte, die vor wenigen Jahren noch ganze Laboreinheiten benötigten, passen heute in die Handfläche oder lassen sich mobil im Rettungsdienst einsetzen. Möglich wird dies durch Fortschritte in Mikrofluidik und in tragbaren Sensortechnologien. Systeme, die bislang nur einzelne Werte wie den Glukosespiegel erfassen konnten, entwickeln sich zu Multisensoren, die mehrere Parameter gleichzeitig überwachen, wie z.B. Elektrolyte, Laktat oder Vitalfunktionen. Solche kontinuierlich getragenen Sensoren haben das Potenzial, Patient:innen in Echtzeit zu begleiten und Therapieentscheidungen noch präziser zu machen.
Parallel dazu hält die künstliche Intelligenz (KI) Einzug in die Auswertung von Testergebnissen. In modernen Blutbildgeräten wird KI bereits genutzt, um Differenzialblutbilder automatisiert und mit hoher Präzision zu erstellen (Khan et al., 2023). Auch in Kombination mit hochsensitiven Troponin-Tests spielt sie eine wachsende Rolle: Algorithmen unterstützen Ärzt:innen bei der Interpretation von Grenzwerten und helfen, das Risiko von Patient:innen mit unklaren Brustschmerzen besser einzuschätzen (Pillay et al. 2025). Damit wird KI zum Bindeglied zwischen der schnellen Verfügbarkeit von Daten und einer klinisch fundierten Entscheidung.
Auch das Thema Nachhaltigkeit rückt zunehmend in den Fokus. Hersteller arbeiten an ressourcenschonenden Materialien, wiederverwendbaren Komponenten und Testsystemen, die weniger Abfall erzeugen.
Die Bedeutung von Point of Care steht für mehr als nur Diagnostik am Patientenbett. Es symbolisiert den tiefgreifenden Wandel im Gesundheitswesen hin zu schnelleren, dezentraleren und stärker patientenzentrierten Versorgungsmodellen. Von den ersten Urinproben im Mittelalter über Schwangerschaftstests bis hin zu KI-gestützten molekularen Schnelltests zeigt die Entwicklung, dass das Bedürfnis nach unmittelbarer Diagnostik ein zentrales Element der Medizin ist.
Die klinische Relevanz ist unbestritten, die Chancen für Patientensicherheit sind groß. Doch Qualitätssicherung, Kostenkontrolle und Interessenkonflikte bleiben Herausforderungen, die ernst genommen werden müssen. Fest steht: Point of Care wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen und in vielen Bereichen der Medizin von der Ausnahme zum Standard werden.
Die Point-of-Care-Bedeutung beschreibt Diagnostik und Therapie direkt am Ort der Behandlung, ohne Umweg über ein Zentrallabor. Ziel ist es, Ergebnisse schneller verfügbar zu machen und Therapieentscheidungen unmittelbar zu unterstützen.
Point of Care verkürzt Wartezeiten, verbessert die Patientenversorgung und ermöglicht unmittelbare klinische Entscheidungen. In Notfallsituationen kann die Zeitersparnis entscheidend sein.
Zu den Vorteilen zählen Schnelligkeit, Patientennähe und Effizienz. Risiken entstehen vor allem bei fehlender Qualitätssicherung oder wenn Selbsttests falsch interpretiert werden.
Damit Point of Care zuverlässig ist, gelten strenge Standards wie die RiliBÄK in Deutschland oder internationale ISO-Normen. Regelmäßige Kontrollen und Schulungen sichern die Qualität.
Die Zukunft wird geprägt durch Miniaturisierung, tragbare Multisensoren, KI-gestützte Diagnostik und Telemedizin. Damit entwickelt sich Point of Care vom Nischenthema zu einem zentralen Bestandteil moderner Medizin.
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